Das Selbst und die Anderen

Jedes Tier ist für sich Selbst der Wahrnehmungs- und Empfindungsmittelpunkt der Welt. Das Individuum grenzt sich über der äußeren Umwelt durch die Ich-Empfindung ab, welche das Gehirn aus einem komplexen Informationsfluß zusammensetzt. Der superiore Parietallappen beispielsweise ist verantwortlich für die Wahrnehmungstrennung von dem eigenen Körper und der Umwelt und mithilfe des Präfrontallappens können zielgerichtete Entscheidungen getroffen werden.
Dieses Individuum begegnet anderen Wesen, auf die es differenzierte Reaktionen zeigt. Im negativen Fall handelt es sich um Feinde und Konkurrenten, mit denen sich das Individuum im Überlebenskampf befindet. Für Raubtiere werden andere Tiere ersteinmal durch das Beuteschema betrachtet und damit zu Beuteobjekten degradiert, ähnlich wie die Schlachtindustrie Tiere zu Objekten der Nahrungsmittelherstellung reduziert.

Ein Tier ist jedoch kein egoistischer Automat, der nur für sich funktioniert und existiert, sondern er ist dafür geschaffen als Selbst mit Anderen zusammenzuleben und zu kooperieren.

In dem Moment, in welchem ein Tier beginnt ein anderes Tier als Subjekt wahrzunehmen, welches in dieser Welt seinen eigenen Interessen und Wünschen folgt und seine eigenen Gefühle besitzt, ändert sich das zwischentierliche Verhältnis fundamental. Selbst stark verankerte Instinkte wie der Jagdtrieb werden ausgeschaltet, sobald ein Raubtier
das Ich des anderen Tieres als vollwertig anerkennt.
Universal lässt sich ein Aufeinanderzugehen zu beobachten und die Köpfe werden einander entgegengestreckt, um den Anderen kennen zu lernen.
Kennen und Lieben lernen

Das Besondere an der Entwicklung einer Freundschaft ist, dass es hierbei weder um sexuelle Reproduktion geht, noch um die Nahrungsbeschaffung. Von einer Freundschaft profitieren die Tiere durchaus, z.B. durch Synergien, doch die Kosten-Nutzen-Rechnung tritt hier in den Hintergrund.

Empfinden die Tiere von Anfang an eine Sympathie zueinander und vertragen sich auch weiterhin gut, so verbringen sie ihre Zeit lieber gemeinsam als allein. Durch die zusammen verbrachten Momente wächst ihre Zuneigung zueinander. Tiere, die füreinander Freundschaft und Liebe empfinden, entwickeln eine gegenseitige Empathie. Sie sind eher zu selbstlosen Handlungen bereit und helfen einander.
(Vgl. Psychologie >> Altruismus).
Behandelt der Andere den Freund jedoch plötzlich schlecht, so zerbricht die Freundschaft und z.B. eine Attacke zwischen Hunden wird auch nach Monaten und Jahren nicht verziehen. Vom Gegenüber wird ein konsistentes Ich erwartet - man muss ihn kennen können, um ihn zu mögen. Nur eine große Anzahl von beständig positiven Erlebnissen kann neue Freundschaftsbande wachsen lassen.
Gemeinsam glücklich

Freundschaft bedeutet emotional positive Erlebnisse. Freunde begleiten einander, spielen zusammen und schlafen in engem Kontakt. Die Gegenwart des anderen beruhigt und gibt Selbstsicherheit. Traut sich ein fremdes Tier etwas, so ist das nicht von großer Bedeutung, doch wenn der Freund etwas ausprobiert, folgt der andere auch und schenkt seinem Urteil Vertrauen. Dies kann man bei Menschen genauso beobachten wie bei Wellensittichen oder Kühen.

Freunde erweitern und bereichern das Leben des Individuums.

Dass ein anderes Wesen auf "Einen selbst" reagiert und je nach dem eigenen Verhalten positive oder negative Signale aussendet, stärkt das Bewusstsein vom Selbst und der eigenen Handlungsfähigkeit.
Ein soziales Tier hat das dringende Bedürfnis, sein Sozialverhalten auszuleben, sonst verkümmert es.
Wie auch in der Psychologie des Menschen brauchen soziale Tiere die positive Zuwendung von mindestens einem anderen Individuum.
Einsame und ausgestoßene Tiere schließen sich oft zusammen und gerade Schwächere sind gemeinsam stark.
Lehnen die Artgenossen eines Sozialverbandes (z.B. in einer Herde) ein Tier ab und es muss abseits stehen, so versucht es mit anderen Tieren Freundschaft zu schließen, die ihm begegnen. Das kann ein Mensch sein, eine Katze oder ein Esel, dem Suchen nach emotionaler Nähe sind keine Grenzen gesetzt.

Artübergreifende Tierfreundschaften

Artübergreifende Freundschaften sind ein interessantes und beeindruckendes Beispiel dafür, wie Tiere als Individuen frei handeln. Zur Arterhaltung könnte es eigentlich nur dienen, sich von Artgenossen angezogen zu fühlen. Doch die Tiere folgen nicht einfachen Programmen, die ihnen ein unflexibles Verhalten befehlen. Sie verarbeiten ihre Erfahrungen und handeln individuell und differenziert. Sie können andere Tiere als andere Individuen kennenlernen. Hat ein anderes Tier Eigenschaften, die sie mögen, lernen sie es zu lieben. Zu wem eine Freundschaft entsteht, hängt nicht mehr von der Spezies des Anderen ab, sondern von der Persönlichkeit des Anderen. Manchmal zieht ein Tier dann die Nähe eines ganz bestimmten artfremden Tieres der Nähe seiner eigenen Artgenossen vor, die es nicht sonderlich leiden kann.

Im Prinzip kann jedes Wirbeltier mit jedem Wirbeltier Freundschaft schließen, denn sie sind untereinander genügend ähnlich, dass sie einander verstehen können.

Mit zunehmender Vertrautheit steigt das gegenseitige Verständnis und das Tier lernt, die artfremden "Eigentümlichkeiten" zu tolerieren. Der Andere wird akzeptiert wie er ist und für das geliebt, was einen
verbindet.
Bildet sich eine Freundschaft zwischen einem Raubtier und einem "Beutetier", so verlässt das Beutetier für immer diese Kategorie. Nun ist es ausgeschlossen, dass dem befreundeten Indivuum ein Leid zugefügt wird. Im Gegenteil, wenn man der Stärkere im Bunde ist, dann setzt man sich für das Wohl des befreundeten Tieres ein und verteidigt es gegebenenfalls sogar. Doch auch der Schwächere zeigt gegebenenfalls eine erstaunliche Courage, um den Freund zu warnen und für ihn einzustehen. Das gemeinsam Erlebte verstärkt die Bereitschaft, auch in Zukunft füreinander da zu sein und die Bindung wird eng.