Das Selbst verlässt seinen Käfig

Kommunikation bedeutet einen großen evolutionären Schritt, denn sie ermöglicht, dass ein Individuum gegenüber anderen Individuen seine Innenwelt zum Ausdruck bringen kann. Was ein Tier mit Lauten und Taten kommuniziert, zeugt von seiner Selbstwahrnehmung und seinem Erleben, aber auch von seinen Absichten und Wünschen, so dass das einzelne Tier mit seinem Inneren nicht mehr ganz allein im Universum ist.

Zwischen den Wirbeltieren sind einige Äußerungen der inneren Befindlichkeit universell verständlich:

"Ich habe Angst"
"Ich habe Schmerzen"
"Ich bin wütend"

Diese Äußerungen gehen so eng aus den Gefühlen hervor, dass sie unmittelbar geäußert werden. Sie können aber auch bewusst und gezielt in Situationen eingesetzt werden. Zum Beispiel kann ein Tier bei einem zu rauhem Spiel signalisieren:

"Du machst mir Angst"
"Bitte tu mir nicht weh"

Oder es können gezielt Warnungen ausgesandt werden wie:

"Komm nicht näher"
"Ich warne dich"
Die Warnung, die hier an einen störenden Passanten ergeht, findet in Sekundenbruchteilen statt, während die Hündin sich davor und danach freundlich mit einer Bezugsperson beschäftigt. Den meisten Menschen entgeht diese subtile Warnung völlig und erst die Fotoserie macht sie deutlich und sichtbar. Für die nervöse Hündin leben wir in einer Warnehmungszeitlupe, ein Artgenosse hätte ihr Signal bemerkt und verstanden.

Es gibt noch eine Reihe anderer expressiver und performativer Äußerungen, deren Sinn wir auch als artfremde oft verstehen können:

"Ich möchte spielen"

"Ich freue mich"

"Ich mag dich"

"Ich tu dir nichts"

"Ich bin unsicher und unentschlossen"

"Komm mit mir"

"Wo bist du?"

"Ich möchte Sex"
"Du darfst Sex mit mir haben"

"Achtung, Gefahr!"

All diese Äußerungen helfen den Tieren, miteinander umzugehen und ihre Handlungen aufeinander abzustimmen. Auch vermögen die Tiere ihr Wissen weiterzugeben, so dass die Gemeinschaft profitiert.

Je abstrakter der Inhalt, desto schwieriger ist es jedoch für den Außenstehenden, die Sprache von anderen Tieren zu verstehen.

Analysiert man beispielsweise die Sprache der Delphine, so lassen sich syntaktische Strukturen und bedeutungstragende Einheiten isolieren, doch der Sinn der komlexen Äußerungen bleibt dem Menschen verschlossen. Lernen Delphine die abriträren Symbole einer Kunstsprache, beherrschen sie Objektreferenz und können Verb-Objekt-Strukturen interpretieren.

Dr. Irene Pepperberg konnte an ihrem Graupapageien Alex nachweisen, dass auch Vögel Konzepte
wie Form, Farbe, Anzahl und Material unterscheiden können. Alex erlernte, seine mentale Interpretation
von der Wirklichkeit mit 100 verschiedenen menschlichen Worten wiederzugeben. Legte man ihm z.B. eine Mischung aus 3 schwarzen, 2 roten und 4 gelben Objekten vor und fragte ihn, wieviele gelbe Objekte vorhanden seien, so zählte Alex die gelben Objekte und antwortete "four", fragte man ihn nach den schwarzen Objekten, so zählte er "two". Alex konnte also die Frage nach dem Konzept Zahl mit der Frage nach dem Konzept der Farbe gedanklich verbinden und sein Bewusstsein über die Menge von verschiedenen Objekten einem anderen Individuum in einer sozialen Interaktion mitteilen. Alex konnte auch seinen eigenen Wünschen in einer einfachen Syntax Ausdruck verleihen und Verben frei mit Objekten und Lokaladverbialien verbinden, z.B. "want nut", "want banana" (Verb+Ojekt); "wanna go cage", "wanna go tree"(finites Verb+Infintiv+Lokaladverbial)


Die kognitiven Fähigkeiten und das abstrakte Verständnis, welches der Sprache mental zugeordnet wird,
demonstrieren auch Tiere, welche auf den ersten Blick nicht verbal orientiert scheinen.
Beispielsweise ordnen die Border-Collies Rico und Betsy mit Leichtigkeit Worte mentalen Repräsentationen und Referenzobjekten zu und können neue Begriffe per Ausschlussverfahren lernen. Betsy versteht über 300 Bezeichnungen. Neben Nomen können Hunde u.a. auch Modaladverbialen und lokale Deixis verstehen.

Vgl. u.a. "Minds of their Own. Animals are smarter than you think.", National Geographic, März 2008

Wer sich für die hochentwickelten sprachlichen Leistungen von Tieren im Detail interessiert und den qualitativen Gemeinsamkeiten mit der menschlichen Sprache nachgehen möchte, möge folgenden Artikel lesen:
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