Mathematik für das Leben

Es ist eine nützliche Begabung, Mengen auf einen Blick abschätzen
zu können. Ein hungriger Vogel kann beispielsweise im Vorüberfliegen einen Busch voller roter Beeren von einem weniger reich besetztem
Busch unterscheiden. Doch genau wie wir können die Tiere auch
genau nachschauen und zählen, was sich ihnen darbietet.
Zum Beispiel kann eine Entenmutter anhand ihres Zahlgefühls sofort
bemerken, wenn eines ihrer Küken fehlt.

Bemerkenswerter Weise können Hühnerküken, die erst eine Woche
alt sind, schon bis drei zählen. An der University of Padova in Italien
zeigten Versuche, dass die Küken zuverlässig Unterscheidungen
treffen konnten, selbst wenn die zu zählenden Objekte teilweise
verdeckt waren.


4 Tage alte Küken auf der Rechenbank

Aufbauend auf dieser Erkenntnis unternahm man den Versuch, eine wechselnde Anzahl von Objekten zu verstecken und ließ die Küken entscheiden, in welchem Versteck sich mehr Objekte befanden.
Da die Küken zielstrebig die größere Zahl von Objekten ansteuerten,
probierte man nun, ob die Küken auch Regeln der Substraktion und Addition verstehen. Zu diesem Zweck ließ man Objekte vor den Augen der Küken aus einem Versteck ins andere wandern, so dass die Küken mithilfe des Vergleichswert aus ihrer Erinnerung entscheiden mussten, ob hinter der einen oder anderen Abdeckung nun mehr Objekte versteckt waren. Das heißt, die Hühnerküken mussten zum Einen ermitteln, wieviel auf der einen Seite durch Substraktion noch übrig geblieben ist (wohlgemerkt, ohne es sehen zu können) und zum Anderen wissen, wieviel sich durch Addition auf der anderen Seite angesammelt hat). Dazu mussten die Küken beispielsweise 4-1 auf der einen Seite und 1+1 auf der anderen Seite berechnen, um zu wissen, dass immer noch mehr Bälle auf der ersten Seite versteckt waren. In einem anderen Fall wanderten von 4 Bällen 2 auf diejenige Seite, wo erst 1 Ball versteckt war. Die Küken verstanden, dass nun auf der anderen Seite mehr Bälle waren, also (4-2) < (1+2).
So wurden verschiedenste Rechnungen durchgespielt,
z.B. auch (4-1) > (1+1) und (5-3) < (0+3).
So bewiesen die Küken, dass sie Summen vergleichen und sich merken können und auf ihre Erinnerung zurückgreifen, wenn sie damit konfrontriert sind, dass Zahlen von Objekten addiert oder subtrahiert werden.

Vgl.

"Discrimination of Small Numerosities in Young Chicks", Journal of Experimental Psychology: Animal Behavior Processes, Juli 2008

"Arithmetic in newborn chicks", Proceedings of the Royal Society B, März 2009



Die Küken gingen mit konkreten Objekten um, doch können Tiere auch ein abstrahiertes Zahlenverständnis einsetzen?

An der Universität Konstanz wurde Tauben beigebracht, Zahlsymbole
zu deuten. Wurde ihnen z.B. das Symbol für 4 gezeigt, pickten sie viermal
auf einen Drucknopf, wurde ihnen die 6 gezeigt, pickten sie sechsmal
auf den Druckknopf und erhielten eine Belohnung für das richtige Ergebnis.
Zwar brauchten die Tauben ein langes Training, um zu verstehen, was
von ihnen verlangt wurde, doch dann setzten sie ihr Wissen flexibel ein,
um sich einen Vorteil zu verschaffen.

Vgl. "Matching of numerical symbols with number responses by pigeons", Animal Cognition, 2000

Tauben beim Substrahieren zugeschaut

Im Center for Cognitive Neuroscience and Department of Psychology an der Duke University in Kalifornien erforschte man die Fähigkeit von Tauben, Summen durch Substraktion zu ermitteln und dann zu vergleichen. Die Tauben mussten dabei zählen, sich Zahlen merken und im Kopf rechnen.

Zuerst lernten die Tauben, 8 bis 24 mal und dann 16 bis 48 mal zu picken, um eine Belohnung zu erhalten. So wurden sie an die Idee gewöhnt, dass man jeweils eine bestimmte Anzahl von Picken auf einen kleinen Hebel von ihnen wünschte.
Dann brachte man ihnen einen Vergleichswert V bei, welchen sie picken konnten, um eine Belohnung zu erhalten. Ehe sie das durften, wurde jedoch die Aufgabe erschwert: Erst mussten sie einen anderen Hebel betätigen, der Lichtblitze erzeugt. Diese Lichtblitze mussten die Tauben zählen. Diese variable Lichtblitzzahl L mussten die Tauben sich ebenfalls merken und von einer dritten Zahl Z substrahieren. Zogen sie die Lichtblitzzahl L von der Zahl Z ab, so errechneten sie, wie oft sie auf einen dritten Hebel picken mussten, um eine Belohnung zu erhalten. War diese frisch von den Tauben ausgerechnete Zahl X kleiner als die Vergleichszahl V, so bevorzugten die Tauben, die kleinere Zahl X einzutippen, da das weniger aufwendig für sie war.

Ein Versuchsbeispiel:

V = 4
Z = 8
L = jedes mal anders


Z - L = X < V

z.B. 8 - 5 = 3 < 4

Zahl - Lichtblitzzahl = X ist kleiner als die Vergleichszahl -- überwiegende Reaktion: Die Tauben geben X ein, um die Belohnung zu erhalten.


Z - L = X > V

z.B. 8 - 2 = 6 > V

Zahl - Lichtblitzzahl = ist größer als die Vergleichszahl -- überwiegende Reaktion: Die Tauben geben die Vergleichszahl ein.

Das Experiment wurde auch mit größeren Variablen ausprobiert, nämlich:

V = 6
Z = 12
L = jedes mal anders


d.h. die Tauben mussten folgendes ausrechnen:

12 - Lichtblitzzahl = X
und anschließend unterscheiden:

X ist größer oder kleiner als die Vergleichszahl 6
und nach ihrer Wahl ihr Rechenergebnis oder die Vergleichszahl eingeben.

z.B.

12 - 4 = 8 > 6 -- überwiegende Reaktion: ich picke lieber 6 ein, weil es einfacher ist

12 - 9 = 3 -- überwiegende Reaktion: ich picke lieber 3 ein, weil es einfacher geht, als 6 einzupicken

Die Versuchsreihen zeigen, dass die Tauben abstrakte Rechenvorgänge beherrschen und Lichtblitze zählen können, um mit diesen so ermittelten Zahlen zu rechnen und das Ergebnis mithilfe von Pickbewegungen mitzuteilen. Das heißt, visuelle Informationen werden von den Tauben in abstrakte mentale Repräsentationen umgewandelt, verwendet und bei Bedarf in motorische Aktionen umgesetzt. Um dies zu können, mussten die Tiere auf verschiedene Bewusstseinsinhalte gleichzeitig zugreifen und diese miteinander in einen sinnvollen Zusammenhang bringen. Die Tauben operieren also nicht nur mit den Informationen, sondern können sie sich nach Wunsch bewusst machen und auf Anfrage mitteilen.

Diese und andere Forschungen zeigen, dass Wirbeltiere eine Grundbegabung für mathematische Operationen besitzen.

Vgl. "Numerical Substraction in the pigeon", Psychological Science, Februar 2002



1, 2, 3 .... Los geht's!


Ein exaktes Zeitgefühl beweisen Vögel, die auch unter Abschluss
von Tageslicht zur rechten Zeit zum Füttern erscheinen und sich
auch verschiedene Futterplätze mit den zugehörigen Tageszeiten
einprägen können.

Ein Beispiel, wie sich das tierische Zeitmanagement auszahlt:

Eine Gruppe wilder Tauben erscheint, wenn in der Tierklinik
von Bern die Blutspenderpferde gefüttert werden, denn dort
finden sie Getreidekörner in Heu und Stroh. Wer den Termin
verpasst, geht leer aus, deshalb ist Pünktlichkeit gefragt!